Eine Erklärung des Genossen Lukács[1]

An die Redaktion der „Roten Fahne“

 

Werte Genossen!

In Ihrer Nummer vom 6. Januar 1925 schreiben Sie, dass Lenin meine „Ideologie lebhaft angriff“. Soviel ich weiß – und die Schriften Lenins sind bekannt genug, um dies genau kontrollieren zu können –, hat Genosse Lenin ein einziges Mal eine meiner Auffassungen angegriffen. Dies war, als im Frühjahr 1920, zur Zeit der KAP-Debatten Genosse Béla Kun und ich in der Wiener Zeitschrift „Kommunismus“ in der Frage des Parlamentarismus unrichtige Auffassungen vertreten haben. Über meine „Ideologie“ hat sich Genosse Lenin nie geäußert.

Wien, am 16. Januar 1925.

 

[1] Die Rote Fahne (Berlin), 25. Januar 1925, S. 2. – Gleich nach Lukács‘ Erklärung steht der Kommentar der Redaktion: „Genosse Lukács hat formal Recht, denn in Lenins Werken findet sich nur eine Stelle; doch weiß natürlich Genosse Lukács ebenso wie jeder, der den 3. Weltkongress der Komintern kennt, dass Lenin scharf den Standpunkt Lukács‘ ablehnte, taktisch sowohl wie ideologisch.

Die betreffende Stelle in Lenins Werken, auf die sich auch Lukács beruft, lautet: »Der Artikel G. L.‘s (Georg Lukács) ist eine sehr linker und sehr schlechter. Der Marxismus in ihm ist rein in Worten. Der Unterschied zwischen ‚Offensiv-‘ und ‚Defensivtaktik‘ ist konstruiert: eine konkrete Analyse der ganz bestimmten und historischen Situationen fehlt, unberücksichtigt bleibt das Wesentliche (die Notwendigkeit zu erobern und erobern zu lernen alle Gebiete der Arbeit und alle Institutionen, wo der Einfluss der Bourgeoisie auf die Massen zutage tritt usw.« (Lenins Werke, Band XVII, S. 217, russische Ausgabe.)“ – der Hrsg.