Miklós Mesterházi

Bericht über die Internationale Stiftung Lukács-Archiv1

I.

Dies ist ein Bericht über die Internationale Stiftung Lukács-Archiv (im Folgenden: ISLA) und natürlich vor allem ein Bericht darüber, was sie, die ISLA, im Interesse (plakativ gesagt: zur Rettung) des Lukács-Archivs unternahm und noch zu unternehmen gewillt ist und was sie in ihren Verhandlungen mit der Ungarischen Akademie der Wissenschaften (UAW/Akademie)erreichen konnte. Es ist höchste Zeitdiesen Bericht zu schreiben: Die ISLA steht tief in der Schuld all derer, die gegen die Pläne seitens der UAW zur Schließung des Lukács-Archivs protestierten und uns – der ISLA – ihre Unterstützung angeboten haben; sie schuldet ihnen Rechenschaft, und an dem Punkt, wo wir angelangt sind, ist es sogar unvermeidbar geworden, diese Rechenschaft abzulegen, um zu klären, welche Handlungsmöglichkeiten die ISLA überhaupt noch hat, und ob in der Konstellation, die sich ergeben hat, die Stiftung der Sympathie und Hilfsbereitschaft derer würdig ist, die sich Sorgen um das Schicksal des Archivs (des Lukács-Nachlasses) gemacht haben. Ob ich hier etwas von diesen Schulden abtragen kann, ist allerdings nicht über jeden Zweifel erhaben; mir fehlt die Unvoreingenommenheit, die von einem Berichterstatter erwartet werden kann (und ich sehe auch keinen Grund, mich meiner Voreingenommenheit zu schämen), und auch die Episoden dieser, euphemistisch formuliert, sich langsam entfaltenden Geschichte sind so sinnwidrig, selbst die Dokumente, auf die ich mich berufen möchte, sind so undurchsichtig, dass fast alles sehr der Interpretation und des Kommentars bedürftig ist, und Interpretationen und Kommentare sind subjektiv. Auch das passt schwer in den Rahmen der Gattung Lagebericht.

Die Geschichte hob an dem Punkt an, als die UAW ihre Absicht zur Schließung des Archivs in einem vom Präsidenten der Akademie höchstpersönlich vorgetragenen Bericht über die Tätigkeit der Akademie am 2. Mai 1916 deklarierte.2 Der Satz stimmt natürlich nur mit der Einschränkung, die bei jeden „es fing da/damit an“ mitgemeint ist, dass nämlich, wenn man es genauer betrachtet, alles schon viel früher angefangen hatte. Das Archiv war jahrzehntelang eigentlich so etwas wie eine wissenschaftliche Werkstatt, in der Texte zur Veröffentlichung vorbereitet, Bände zusammengestellt, Bücher geschrieben oder redigiert und (was sich von selbst versteht) Forscher aus aller Welt empfangen und bedient wurden – zum Glück brauche ich das den Lesern des Jahrbuchs, die ja selbst im Jahrbuch mit Kontributionen aus dem Archiv zu tun hatten, nicht zu erzählen. Und als solches durfte das Archiv, egal, ob es gerade dem Philosophischen Institut oder der Zentralbibliothek der UAW untergeordnet war, eine, zwar nicht formalisierte, Ellenbogenfreiheit genießen. Dass die Umstände immer bedrückender wurden, gehört streng genommen nicht zu dieser Geschichte;3 doch als dann, nach einem Konflikt am Philosophischen Institut, der von der ruchlosen Kampagne gegen die Philosophen im Jahre 2011 nicht ganz unabhängig war (das Archiv gehörte zu dieser Zeit zum Philosophischen Institut), die hohe Akademie – offiziell als Lösung des Konflikts – das Archiv der Bibliothek der Akademie unterstellt hat, und, quasi als logische Konsequenz dieser Maßnahme, die (noch verbliebenen) wissenschaftlichen Mitarbeiter des Archivs aus dem Archiv abkommandiert wurden, konnte man erahnen, dass das Archiv, das aus unerforschlichen (weil subalternen) Gründen der UAW schon immer ein Dorn im Auge war, nicht gerade ein neues Aufblühen erwartet. Mit der Tilgung aller Funktionen außer der bibliothekarischen Routinetätigkeit war das Archiv, wie ich es kannte (was gleichgültig sein darf, aber wie es außer mir viele, die sich für Lukács interessierten, kannten), eigentlich schon liquidiert, aber ein bürokratischen Schachzug innerhalb der Organisation der UAW musste kein großes Aufsehen erregen – doch dass die Institution Lukács-Archiv als solche aus der Welt geschafft werden soll, und das auch noch mit der Begründung, dass auf diesem Wege das Testament des Philosophen erst wahrlich vollstreckt und die Zugänglichkeit des Materials erst tatsächlich gesichert werde, das war zu viel.

Und es war ein Phänomen, dessen Botschaft überall apperzipiert wurde, wo Empörung noch nicht aus der Mode gekommen ist. Einen Namen darf ich in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt lassen: es war Miguel Vedda, Professor für deutsche Literatur an der Fakultät für Philosophie und Literatur der Universität in Buenos Aires, der all die allarmierte, mit denen er in wissenschaftlicher Korrespondenz stand.4 In erstaunlich kurzer Zeit entstand daraus ein an den Präsidenten der UAW gerichteter Protestbrief, unterschieben von mehr als 700 Germanisten, Philosophen und Soziologen, by the international scientific community also – wozu sich weitere Protestierende gesellten: Dass die Internationale Lukács-Gesellschaft ihr Veto einlegte, versteht sich von selbst, doch (was eigentlich nicht weniger selbstverständlich ist, wenn man es bedenkt) auch die International Herbert Marcuse Society erhob Einspruch, gefolgt von anderen Institutionen;5 und im Internet kursierte eine weitere, für ein noch breiteres Publikum konzipierte Petition, unter der innerhalb von Tagen um die 10 000 Unterschriften zu lesen waren. Was nach all dem Kuhhandel (all den Verhandlungen, wollte ich sagen) mit der UAW als Resultat verbucht werden kann, trotz Fragezeichen (auf die ich noch zurückkommen muss), dass nämlich die UAW sich gewillt zeigt, die ehemalige Wohnung des Philosophen zu behalten, und dass die Bücher, vielleicht auch die Manuskripte unangetastet auf ihrem Platz bleiben dürfen, ist diesem Protest zu verdanken. Einem Protest, über den die Akademie (der Präsident der Akademie, auf einer Pressekonferenz am 20. April 2016) zuerst zu spötteln sich erlaubte, doch der auch der UAW klar machte, dass der Schritt, den sie sich vornahm, unvertretbar sei. Allerdings, auch wenn es als Kommentar eines Zynikers klingen mag, würde ich diesen Rückzug nicht einer inneren seelischen Wandlung zuzuschreiben wagen; an der Haltung der UAW in Sachen Lukács hat sich im Grunde genommen nichts geändert (darüber unten), aber es ist sichtbar geworden, dass das ursprüngliche Vorhaben der Akademie eventuell auch dort als inakzeptabel betrachtet werden könnte, wo die UAW ihre Autorität nur ungern aufs Spiel setzen möchte, nur um ihrem eigenen Konservativismus und der politischen Obrigkeit einen Gefallen zu tun.

Die Idee einer Stiftung entsprang zweierlei Quellen: Eine war die erwähnte, überraschend massive Unterstützung und die Tatsache, dass der Kreis der Protestierenden sich bereit erklärte, sich für eine NGO, die gewillt ist, der Akademie Hindernisse in den Weg zu stellen, mit Geld, wissenschaftlichem Beistand oder „lebendiger Arbeit“, einzusetzen.6 Die andere Quelle war ein Streich von Péter Agárdi und Tamás Krausz,7 die – der erstere als Präsident des Kuratoriums der Georg-Lukács-Stiftung,8 der zweite im Namen des Kreises um die linke Zeitschrift Eszmélet – den Präsidenten der Akademie um Audienz baten und dort den Vorschlag gemacht haben, dass sie (durch eine internationale Spendenaktion) das Geld aufbringen, das ermöglichen würde, die ehemalige Wohnung des Philosophen – das Archiv wurde 1971 dort eingerichtet – von dem Eigentümer, der Verwaltung des 5. Budapester Bezirks, zu erkaufen, um die Akademie zu entlasten.9 Der Einfall bedarf der Erläuterung: Das geschah an dem Punkt der Geschichte, als die Schließung des Archivs offiziell mit der unerträglichen Last (es sei bemerkt: für die UAW nur Kleingeld) erklärt wurde, die die Aufrechterhaltung des Archivs, vor allem die Miete der Wohnung, der Akademie aufbürdet. In diesem Gespräch wurde vieles besprochen – es ging ja nicht darum, ein Immobiliengeschäft abzuwickeln, sondern um die Verteidigung des Archivs –, und der Präsident schien Verständnis zu zeigen, als Themen wie die Rolle, die Lukács in der ungarischen Kultur gespielt hat und noch spielt, oder das Interesse, das seine Schriften in allen Ecken der Welt weckt etc. aufkamen, doch war in den darauf folgenden Äußerungen der UAW/des Präsidenten von diesem Zuvorkommen nichts wiederzufinden;10 was die Position der Akademie betrifft, war das einzige, etwas ulkige Resultat der Besprechung, dass die Berufung auf die Kosten der Aufrechterhaltung des Archivs aus den akademischen Papieren plötzlich verschwand …

Hier kann ich es nicht vermeiden, mir eine Bemerkung zu erlauben, besser gesagt, gleich zwei Bemerkungen. Es ist nicht nur einigen aus dem Kreis um die Zeitschrift Eszmélet eingefallen, dass man die Wohnung eventuell erwerben könnte, um dem Archiv Schutz gegen die Sparwut der Akademie zu bieten oder um das Argument zu entkräften, die Akademie unterhielte keine Gedenkstätten, warum sollte sie dann gerade eine Lukács-Gedenkstätte unterhalten. (Auch diese Sentenz figurierte für eine Zeit unter den ungenießbaren Begründungen – dass wir die Idee einer Gedenkstätte ausgesprochen geschmacklos finden, da es uns um ein Archiv geht, wie es anderswo nicht unbekannt ist, wo sich die Forschung zu Hause fühlen kann, war allem Anschein nach eine Distinktion, die der Akademie nicht einleuchtete.) Allerdings ist der Gedanke des Erwerbs der Wohnung nicht unproblematisch, nicht nur, weil hier von einer in meinen Augen horrenden Summe die Rede ist (mit finanziellen Erleichterungen, die gemeinnützigen Einrichtungen zustehen, könnte man in diesem Falle wohl kaum rechnen), und auch nicht nur, weil zu dieser Summe auch noch die Betriebskosten hinzukommen würden, sondern und vor allem weil wir auch dann noch auf die Verhandlungs- und Kooperationsbereitschaft (… auf den guten Willen oder wenigstens auf eine Art wohlwollender Neutralität) der Akademie angewiesen wären. Denn schließlich hat Lukács seine Manuskripte und Bücher testamentarisch der Akademie hinterlassen, und ohne die Manuskripte und Bücher wäre der Erwerb der Wohnung ja witzlos. Aber, um mir gleich zu widersprechen, ist die Idee trotzdem nicht ganz vom Tisch: der vor kurzem erneuerte modifizierte Mietvertrag gilt nur bis 2024 …

Die Frage, ob sich die Akademie den Einfall der schlichten Liquidation des Archivs ausreden ließe, war zweifelsohne die heikelste aller Fragen, über die man nachdenken musste, doch natürlich nicht die einzige. Für die, die sich über die Rettung des Archivs Gedanken machten, ging es um die Rettung des Archivs in einer Verfassung, in der es für die internationale Forschung von Bedeutung sein könnte, also wiederhegestellt in seinen mit der Zeit verlorengegangenen Funktionen. Und die Idee, eine Stiftung zu gründen, die die Bedingungen der Forschung zu sichern versucht, Versäumtes nachzuholen hilft, in Zusammenarbeit mit all denen, die sich zur Mitwirkung bereit zeigen, wissenschaftliche, editorische Pläne schmiedet und verwirklicht etc., schien plausibel zu sein. Sie könnte all das verrichten, wovon die Akademie sichtlich Abstand halten möchte, um nicht mit Lukács assoziiert werden zu müssen; wodurch die Akademie die Last Lukács loswerden könnte, ohne sich mit dem skandalösen Schritt der Schließung zu blamieren.

Die Prozedur der Gründung nahm ihren Anfang im Sommer 2016; als Gründer fungierten Ágnes Heller und János Weiss (Professor an der Universität Fünfkirchen); es wurde ein Kuratorium etabliert mit János Kelemen, Professor emeritus an der Universität Budapest, Mitglied der Akademie, als Präsidenten, Zsuzsa Hermann, der Initiatorin einer der Petitionen, dem Historiker Gábor Gyáni, ebenfalls Mitglied der Akademie, dem Literaturhistoriker Prof. Zoltán Kenyeres, mit Prof. Gábor Boros, dem Leiter des Lehrstuhls für Neuzeitliche und Zeitgenössische Philosophie an der Budapester Universität und dem Dozenten Ádám Takács, dem Rechtsphilosophen Péter Szigeti und dem Historiker Tamás Krausz aus dem Kreise um Eszmélet, dem Literaturhistoriker Péter Agárdi, mit Mária Székely, die – als Bibliothekarin – die einzige, auch jetzt noch aktive Mitarbeiterin im Archiv geblieben ist, und drei ehemaligen Mitarbeitern, dem Philosophen Prof. Ferenc Tallár, dem Literaten András Kardos und meiner Wenigkeit. Die gerichtliche Ratifizierung der Gründung ließ auf sich warten (das war abzusehen),11 doch Prof. Kelemen unternahm Schritte, um einen Dialog mit der Akademie zu initiieren – jedem Akademiemitglied steht es an der UAW zu, den Präsidenten der Akademie um eine Audienz zu bitten, und obwohl das statutenmäßig nicht vorgeschrieben ist, gehört es sich nicht, diese Bitte abzuweisen.12 Der Gedanke an solche inoffiziellen Gespräche unter vier Augen kann als bedenklich vorkommen, doch wir wollten wenigstens in Umrissen erfahren, wieweit die Akademie die Existenz und Intervention der Stiftung zu tolerieren bereit sein könnte, d. h., mit welchem Angebot die Stiftung sich an die wenden kann, die sich bereit erklärt haben, sie zu unterstützen. Und es waren (das ist eigentlich bloß ein anderer Aspekt derselben Frage) zu jener Zeit jene Motive und Intentionen der UAW selbst nicht ganz klar, die sie bei der Behandlung des Problems Lukács-Archiv bewegten (es wäre vielleicht genauer zu sagen, es war die Proportion nicht ganz klar, in der sich in diesen Intentionen politischer Druck von oben, der eigene Konservativismus der UAW und bürokratische Dickköpfigkeit vermengten).

Zwiegespräche unter Akademikern, würde man denken, sollten Paradebeispiele herrschaftsfreier Kommunikation sein, doch die Verhandlungen Professor Kelemens mit dem Akademiepräsidenten waren eher enttäuschend. Immerhin erklärte die Akademie an einem Punkt, sie sei gewillt, Lukács‘ Wohnung zu behalten, für die Betriebskosten geradezustehen und die Bibliothek von Lukács (ob auch die Manuskripte, zu dem Punkt habe ich Deutungsschwierigkeiten, doch darüber später) unangetastet zu lassen. (Ich habe mich in der Erzählung nicht streng an die Chronologie gehalten, vielleicht muss ich also daran erinnern, dass bis zu diesem Zeitpunkt die Resolution galt, 13 nach der die Nachlassbibliothek von Lukács an die des Philosophischen Institutes anzugliedern sei und die Manuskripte der Manuskriptsammlung der Bibliothek der UAW übergeben werden sollten, damit – wie es hieß – das Testament des Philosophen endlich befriedigend vollstreckt wird.) Das Kuratorium erhielt das Versprechen, dass es zu einer Besprechung zwischen der Stiftung und der Rechtsabteilung der Akademie kommen könne, nach der endlich eine die Zusammenarbeit zwischen Stiftung, Akademie und der Bibliothek der Akademie umreißende/ skizzierende Stellungnahme seitens der UAW zu erwarten sei.

Es kam auch zu einer Besprechung, und nach einiger Zeit – zwischen jeder Episode dieser traurigen Geschichte lagen lange Phasen des trotzigen Schweigens der Akademie – durften wir das Dokument in den Händen halten, das besagte, wie sich die Akademie das Funktionieren des Archivs eines, formulieren wir vorsichtig, nicht ganz unbekannten Philosophen sowie die Partnerschaft mit einer Stiftung vorstellt, hier die Übersetzung:14

Mit Bezug auf ihre Antwort vom 6. September 2017 auf den Absichtserklärungsentwurf der Akademie das Lukács-Archiv15 möchte ich16 Folgendes erklären:

Das Archiv ist der Bibliothek der UAW17 unterstellt. Laut des Organisationsstatuts der Bibliothek sind Bewahrung, Schutz und Betreuung des im Archiv befindlichen Dokumentenbestands und die Koordination zukünftiger Forschungen und Projekte die Aufgabe der Abteilung Manuskriptsammlung und Sammlung alter Bücher. Während der Vollstreckung ihrer Pflichten darf die Tätigkeit der Bibliothek als einer aus dem Etat finanzierten Institution außer der Entscheidung ihres führenden Verwaltungsorgans von keinen außerstehenden Personen oder Körperschaften abhängig sein. Laut Entscheidung der UAW hat sich die Unterbringung des Archivs nicht verändert – und sie entspricht Lukács‘ Testament –, daher fallen die Entscheidungen bezüglich der Manuskripte, der öffentlichen Zugänglichkeit und des Schicksals des zur Unterbringung des Archivs dienenden Mietobjekts nach dem 1. Oktober 2024 in die Rechtskompetenz und den Verantwortungsbereich der Bibliothek und ihres führenden Verwaltungsorgans. Es ist zu bemerken, dass das Schicksal des Mietobjekts nach dem Ablauf des wirkungsgültigen Vertrags vor allem von dem Eigentümer der Immobilie abhängt.

Das Forschungszentrum für Geisteswissenschaften der UAW praktiziert via das Institut für Philosophie in Zusammenarbeit mit der fachspezifischen Tätigkeit der Bibliothek Forschungs- und verlegerische Arbeit in Anlehnung an das Material des Archivs. Zwecks Studiums des philosophischen Nachlasses von Georg Lukács wird auf der Grundlage des Förderprogramms für junge Mitarbeiter eine eigens für diese Aufgabe vorgesehene Kraft zur Verfügung gestellt.18

Die Bewahrung der Einheitlichkeit des Lukács-Nachlasses ist gesichert, das Material des Archivs ist für breite in- und ausländische Fachkreise erreichbar. Aufgrund des oben Ausgeführten, sprechen laut Beurteilung des Philosophischen Instituts starke sachliche Argumente für die langfristige Aufrechterhaltung des Archivs.

Sofern die ISLA durch Förderung und Spenden bei der Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Forscher im Archiv Hilfe leisten und zur Renovierung der Wohnung beitragen möchte, steht ihr bezüglich des konkreten Einsatzes der finanziellen Mittel ein vorgängiges Vetorecht zu, falls sie Anspruch darauf erhebt. Jedoch darf für sie aus diesem Beitrag – aus den oben dargelegten Gründen – kein Vetorecht bezüglich von Sachfragen, die das Archiv betreffen, entstehen.

Die UAW zeigt darüber hinaus Entgegenkommen, wenn die ISLA zwecks Aktualisierung der Forschungsarbeit unter Mitwirkung der Bibliothek und des Philosophischen Institutes öffentliche wissenschaftliche Veranstaltungen, Vorträge und Seminare organisieren möchte.

Aufgrund der bisherigen Vereinbarungen vertraue ich darauf, dass es gelungen ist, die Mitwirkung der Parteien zu definieren, und dass die potenziellen in- und ausländischen Förderer seitens der Akademie die Garantie erhalten haben, über ihre Unterstützung des Archivs entscheiden zu können.

Was folgt, ist ein Kommentar, der als Wegweiser für die Entzifferung des obigen Dokuments dienen sollte, und ich kann und will auch nicht verhehlen, dass, was die Lesart dieses Dokuments betrifft, die Akzente auch im Kuratorium unterschiedlich gelegt werden. Dass die Akademie vom Plan, das Archiv einfach loszuwerden, Abstand genommen hat, ist ein Erfolg, der (doch das habe ich schon gesagt) denen zuzuschreiben ist, die für das Archiv eingetreten sind, ein Erfolg, auch wenn es nicht unbedingt von einem grenzenlosen Engagement zeugt, wenn die Akademie ihrer Opferbereitschaft eine zeitliche Grenze gesetzt hat. Ebenfalls ein Erfolgt ist natürlich, dass, wenn ich den Text nicht missdeute,19 die Akademie im Dokument quasi versprochen hat, den Materialbestand des Archivs unangetastet zu lassen. Es scheint jedoch, als würde die Akademie das Wort Forschung missverstehen, wenn es um das Archiv geht, oder anders formuliert, als hätte sie nichts davon verstanden, was man ihr des Öfteren über den Charakter des Archivs zu erklären versucht hat (ich gebe zu, meist in polemischer Form).20 Die Pedanterie, mit der Kompetenzen und Funktionen, die im Archiv unzertrennlich waren, nun voneinander getrennt werden, zeugt vielleicht nur von bürokratischer Borniertheit, doch die Idee, dassForschungs- und verlegerische Tätigkeit in Anlehnung an das Material des Archivs“ vom/im Institut für Philosophie (in der bizarren Formulierung des Dokuments eigentlich: vom Forschungszentrum für Geisteswissenschaften via21 Philosophisches Institut) betrieben werden, und für das Archiv die Bibliothek der UAW sorgen soll – in der dezidiert nichts, was über die Bibliotheksroutine hinausginge, geduldet wird –, braucht nicht ganz harmlos zu sein. Es scheint mehr als ein bloßer Verdacht zu sein, dass es der Akademie im Grunde genommen, zwar diesmal ein wenig kaschiert, darum geht, nicht mehr der Sympathie mit Lukács verdächtigt werden zu können – d. h. die Institution loszuwerden, die unter der Flagge der Akademie nicht einfach zur Aufbewahrung von Papieren dienen möchte und eventuell noch als Panoptikum, in dem die ökologische Nische eines Philosophen, in Lebensgröße als Wachsfigur aufgestellt, an drei Tagen der Woche besichtigt werden kann.22

Dass die ISLA Seminare, Konferenzen etc. organisieren darf, ist erfreulich, nicht weniger erfreulich ist, dass nun offiziell erlaubt wurde, via Philosophisches Institut über Lukács zu schreiben; doch die Lukács-Forschung ist etwas, was über den Rahmen des Philosophischen Institutes des Zentrums für Geisteswissenschaften hinausgeht, und das Archiv, wo für die textologische Betreuung seiner Manuskripte, für Redaktion und Publikation gesorgt wurde, wo Bücher von ihm und die Literatur über ihn gesammelt werden und noch einiges geschehen sollte, wo Forscher, wenn sie das Archiv besuchten oder per E-Mail nach etwas fragten, bedient wurden (etc.), war für die Forschung in diesem breiteren Sinne erdacht worden. Doch diese Folgen des Missverständnisses sind nur die Kehrseite dessen, was aus der Sicht der ISLA das eigentlich Problematische am Dokument ist: dass nämlich – obwohl es den Verfassern des Dokuments kaum entgehen konnte, dass es hier um Angelegenheiten geht, die für die Stiftung und aus der Sicht der Ziele der Stiftung von gravierender Wichtigkeit sein könnten – im Dokument der ISLA untersagt wird, in Fragen, die in den Kompetenzbereich der Bibliothek gehören, eventuell zu intervenieren oder auch nur einen Dialog mit der Bibliothek zu führen (mit der etwas überdimensionierten Begründung: „während ihrer Vollstreckung darf die Tätigkeit der Bibliothek als vom Etat finanzierter Institution nur von ihrem führenden Verwaltungsorgan und von keiner Entscheidung außenstehender Personen oder Körperschaften anhängig sein“ – als bestünde die Gefahr, die Stiftung wolle die Bibliothek etwa zum Hochverrat überreden).

Hier nun handelt es sich um eine höchst bedenkliche Einschränkung der Möglichkeiten. Bedenklich, weil das Archiv (oder was vom Archiv übrig geblieben ist) kein Subjekt ist, das sich erlauben dürfte, Einfälle zu haben – es sei bemerkt, dem abzuhelfen, ist eine der, falls nicht die Aufgabe der ISLA –, d. h., jede Initiative muss „von außen“ kommen, und wenn man will, ist auch sie bisher „von außen“ gekommen (d.h. von den Mitarbeitern des Archivs, die seit Jahren als „außenstehende Personen“ gelten, von Forschern, die mit dem Archiv im Kontakt standen usw.), wenn es etwa – um den plausibelsten der denkbaren Fälle zu nennen – darum geht), das im Archiv aufbewahrte handschriftliche Material aus einem fremden Bestand zu ergänzen oder zu bereichern. Solche Chancen nicht ungenützt zu lassen, war in der Vergangenheit für das Archiv selbstverständlich. Wird nun ein Vorschlag ähnlichen Inhalts, falls sie von der ISLA (überhaupt „von außen“) kommt, in der Zukunft als etwas gelten, das als Einfluss einer äußeren Körperschaft oder Person zurückzuweisen ist, da „Bewahrung, Schutz und Betreuung des im Archiv befindlichen Dokumentbestands und die Koordination anschließender Forschungen und Projekte die Aufgabe der Organisationseinheit Manuskriptsammlung und Sammlung alter Bücher“ ist? Oder will das mit sichtbar großer juristischer Sorgfältigkeit zu unserer Erbauung zusammengebastelte Dokument schlicht verkünden, dass solche Einfälle, wenn überhaupt, dann nur von dem Forschungszentrum für Geisteswissenschaften kommen dürfen, sofern sie den Dienstweg via Philosophisches Institut einhalten?23 Bedenklich ist dieser Zug des Dokuments nicht zuletzt, weil quasi parallel zum hier behandelten Text auch andere offizielle Dokumente entstanden sind (der Entwurf zu einem Abkommen zwischen der Akademie, dem Philosophischen Institut der Akademie und der Bibliothek, s. Fn. 14, und der Artikel aus der Feder des Generaldirektors der Bibliothek in der Zeitschrift der Akademie, s. Fn. 21), die davon zeugen, dass an der Akademie und in der Bibliothek der Akademie abenteuerliche Vorstellungen über das Archiv, über die Vergangenheit des Archivs, über das dort befindliche Material usw. kursieren, als hätte die akademische Obrigkeit von den gegen sie angeführten Argumenten nichts verstanden und die Proteste überhaupt nicht zur Kenntnis genommen.

Wie die Konstellation, die ich zu skizzieren versucht habe, zu bewerten sei, daran scheiden sich die Geister selbst im Kuratorium, was nicht unverständlich ist. Durch all die mit der Akademie geführten Verhandlungen konnten wir nicht erreichen, ein ernstgenommener oder überhaupt in Betracht zu ziehender Partner bei den Entscheidungen, die das Archiv betreffen oder betreffen können, zu sein. Doch das Archiv existiert noch, und man kann alternative Wege denken, durch die das Archiv einige ihrer Aufgaben erfüllen und Projekte initiieren kann, bei denen die Akademie bzw. die Bibliothek der Akademie nicht in der Lage wäre, die Zusammenarbeit zurückzuweisen. Und das war eigentlich die Aufgabe, die sich die Stiftung ursprünglich gestellt hat: nämlich Vorstellungen zu animieren, die die Sache der Lukács-Forschung vorantreiben können, und die mit dem, was das Lukács-Archiv zu leisten versucht (oder versäumt) hat, in irgendeinem Zusammenhang stehen; und sich zu bemühen, für die Unterstützung entsprechender Pläne zu sorgen. Solche Pläne zu schmieden, fällt natürlich nicht in die Kompetenz des Kuratoriums, in dieser Hinsicht muss und möchte sich die Stiftung auf die Phantasie derer verlassen, die mit ihrem intellektuellen Einsatz geholfen haben, das Archiv zu schützen. Ob nun die ISLA unter diesen Umständen und in ihrer Funktion als Projektmanager noch mit Sympathisanten rechnen darf und inwieweit sie der Unterstützung würdig gefunden werden kann, ist die Frage, die wir uns im Kuratorium gestellt haben – und die wir nun auch im Kreise derer stellen müssen, die (doch das war vor einer Ewigkeit) ihr Veto gegen die Zerstörung des Archivs eingelegt haben.

II. Nachtrag

Seit dem Abschluss des obigen Berichtes (irgendwann im Dezember vorigen Jahres) durfte das Archiv/die Stiftung – wären die Einzelheiten nicht komisch zugleich, wäre man geneigt zu sagen: – dramatische Wendungen dieser Geschichte genießen. Es schien, als hätten die Versuche der Stiftung, einen Dialog mit den Institutionen der Akademie zu initiieren, nach langem Zögern und Schweigen seitens der Akademie doch etwas gebracht: Die Akademie zeigte sich bereit, eine gemeinsame Erklärung zu unterschreiben, die zwar die Akademie zu nichts verpflichtete, 24 jedoch als Zeichen der Bereitwilligkeit zu einer Kollaboration mit der Stiftung gedeutet werden konnte. Und es schien, als hätte die Stiftung Verbündete auch innerhalb der Akademie gewinnen können: Das Philosophische Institut trat für die Bewahrung des Archivs in seiner Eigenschaft als Forschungsstätte ein (d. h. auch dafür, den handschriftlichen Nachlass im Archiv zu belassen), eine ähnliche Resolution wurde vom Philosophischen Komitee der Akademie und der sogenannten Zweiten Klasse angenommen – und das Letztere ist schließlich das höchste wissenschaftliche Gremium, wenn es um prinzipielle wissenschaftspolitische Entscheidungen geht, die die geisteswissenschaftlichen Institute betreffen. Fast hätte man glauben können, die rationalen Argumente seien im Gespräch mit der Akademie doch nicht ungehört geblieben, und es habe sich doch gelohnt, all das Warten und Hinhalten zu erdulden.

Allerdings erschien, noch bevor die genannte gemeinsame Erklärung am 6. Februar seitens der Stiftung unterzeichnet wurde, auf der Homepage der UAW ein Communiqué,25 das scheinbar über die Vereinbarung zwischen Akademie und Stiftung berichtete und sie zelebrierte („über die Vollstreckung des letzten Willens von G. L.“, so der Titel), eigentlich aber es zu bestimmen gedacht war, wie die Vereinbarung zu verstehen sei: In 3500 Zeichen wurden die löblichen Ideen des Generaldirektors der Bibliothek der Akademie zur Rettung des Lukács-Nachlasses aufgetischt, Ideen, die die Stiftung nie akzeptiert hat, die von der Stiftung keineswegs akzeptiert werden können und die hinter dem – nicht besonders sorgfältig zusammengeflickten – Deckmantel der Digitalisierung des handschriftlichen Materials eigentlich der Verwirklichung des originären Planes der Akademie, der Zerstörung des Lukács-Archivs, dienen. Und obwohl diese Interpretation der Verhandlungen mit der Akademie seitens des Kuratoriums der Stiftung grob zurückgewiesen wurde und trotz Resolutionen des Philosophischen Komitees und der Zweiten Klasse, trotz den Gesprächen, die der Präsident der Zweiten Klasse mit dem Präsidenten der Akademie geführt hatte, durfte der Generaldirektor der Bibliothek seine Vorstellungen über das Schicksal des Archiv unbehindert verwirklichen: Ende Februar deklarierte die Bibliothek die Verschleppung der Lukács-Manuskripte und der Korrespondenz in die Manuskriptsammlung der Bibliothek (um sie zu katalogisieren, was, so der Generaldirektor der Bibliothek, nie zuvor gemacht worden ist, und um sie zu digitalisieren – was immer das auch bedeuten soll, und wie glaubhaft die Vorstellungen des Herrn Generaldirektors über das Digitalisieren auch sein dürfen),26 und in der Tat wurden am 20. März (um Zeugen und Proteste zu vermeiden, zwei Wochen später als angekündigt, in aller Eile und ohne Vorwarnung) die Panzerschränke von den Lukács-Papieren befreit.

Um die ganze Angelegenheit noch brisanter zu machen, wurden paar Tage danach auch die Briefe von Lukács‘ Frau, Getrud Bortstieber entfernt, obwohl sie im Testament von Lukács, mit dem er seine Papiere der Akademie hinterließ, nicht erwähnt wurden, und vor allem trotz der Tatsache, dass die Familie, um das Verschwinden der Briefe in der akademischen Manuskriptsammlung zu vermeiden, sie lieber für sich beanspruchen wollte. (Die Gertud Bortstieber-Briefe, wie auch andere Hinterlassenschaften, die als aus der Sicht der Lukács-Forschung interessante Materialien im Archiv bewahrt wurden, gelten im Auge des Herrn Generaldirektors als „man weiß nicht von wem und aus welchem Grunde veranlasst, auf dem Hoheitsgebiet der Bibliothek der UAW befindliche fremde Manuskripte“, deren rechtlicher Status erst geprüft werden müsse, und daher sollten sie bis zur Klärung der juristischen Sachlage der Forschung unzugänglich gemacht werden – dieser unverblümte Forschungsverbot ist für die Familie – die Rechtsinhaber im Falle der G. B.-Briefe! – inakzeptabel.)27 Unsere Versuche, über die unzuverlässigen Versprechungen der Bibliothek hinaus etwas Handfestes über die Zukunft des handschriftlichen Nachlasses zu erfahren (ob sie in das Archiv zurückehren können, ob anlässlich der geplanten Renovierung der Wohnung auch die technischen Vorbedingungen zur sicheren Lagerung und zur Bedienung der Forschung gesichert werden sollten, etc.) wurden seitens der Bibliothek mit der nichtsagenden Antwort abgetan, dass derartige Fragen irgendwann später mit dem Präsidenten der Akademie geklärt würden …28

Die Verschleppung der Verhandlungen, die Unerforschlichkeit akademischer Intentionen usw. hat innerhalb des Kuratoriums von Zeit zu Zeit zu Meinungsverschiedenheiten geführt in Fragen, ob man in dieser oder jener Situation lieber immer noch verhandeln oder sich an die Öffentlichkeit wenden und durch Dementis und polemische Exkurse die Akademie unter Druck setzen sollte, ob diese oder jene Nachricht oder Antwort, die von der Akademie kam, als Zugeständnis interpretiert werden kann, oder nicht, ob man zur gleichen Zeit verhandeln und angreifen könnte und ob dieser oder jener Schritt der Akademie noch als zulässig oder schon als unannehmbar angesehen werden darf (etc.). Ob wegen der taktischen Entzweiung oder aus anderen Gründen, aber gerade in den letzten kritischen Monaten kündigten viele Mitglieder des Kuratoriums ihren Rücktritt an, was sowohl die Funktionstüchtigkeit als auch die Legitimität des Kuratoriums untergraben hat. Daher entschieden sich die verbliebenen Kuratoren, im Einverständnis mit den Stiftern der ISLA, das Kuratorium unter Ágnes Erdélyi, DSc als Präsidentin neu zu gestalten.29 Da die Stiftung eigentlich mit ihrer grundlegenden Zielsetzung, die Integrität des Materials zu bewahren, scheiterte, ist diese Neugründung des Kuratoriums (statt Deklaration des Bankrotts der Stiftung) bei weitem nicht selbstverständlich, doch das Rest-Kuratorium neigte zu der Ansicht, dass man es sich nicht erlauben kann, den Kampf für die Wiedererlangung der Manuskripte, für die Wiederherstellung der Bedingungen der Forschung im Archiv, überhaupt für das, was die internationale Lukács-Forschung von dem Archiv des Philosophen (was auch immer die UAW über Lukács, über Lukács-Forschung und über das Lukács-Archiv denken mag) berechtigt erwartet, einzustellen. Sollten einige unter den Lesern des Jahrbuchs auch derselben Meinung seien, wäre das für uns eine dringend benötigte und mit Freude registrierte Bestätigung: In der Schlammschlacht mit der Akademie können wir uns einzig auf die Unterstützung dieser Art stützen.

 


1 Teil I des Textes wurde im Dezember 2017 fertig gestellt. Teil II ist ein Nachtrag, der nach dem Abtransport des Nachlasses von Lukács aus dem Archiv hinzugefügt wurde und einige zu optimistische Vorstellungen, die in Teil I noch artikuliert werden, korrigiert. (Anm. des Hg.)

2 http://mta.hu/kozgyules2016tavasz/lovasz-laszlo-elnoki-beszamolo-2016-106425. – Eigentlich war es ein Artikel über das Georg-Lukács-Archiv (5. März 2016, gez. von Gábor Miklós), veröffentlicht in der seitdem zugrundegerichteten Tageszeitung Népszabndság, aus dem das Publikum zuerst einiges über die Absichten der UAW erfahren konnte; die offizielle Version der akademischen Absichten, wie sie auch in dem Bericht des Präsidenten der Akademie zu lesen war, war ursprünglich als Dementi formuliert worden.

3 Doch s. dazu Miklós Mesterházi: Größe und Verfall des Lukács-Archivs, Lukács-Jahrbuch 2016, Aisthesis, Bielefeld 2016, 35. ff.

4 Gleich als ihn die Nachrichten aus dem Népszabadság-Artikel erreichten; der in fünf Sprachen kursierende Protestbrief trägt das Datum 8. März 2016.

5 … wie die Ernst-Bloch-Gesellschaft, die Revista Herramienta, die APROPUCSP (Associação dos Professores da PUCSP/Pontifícia Universidade Católica de São Paulo), die Società Italiana di Storia del Lavoro usw.

6 An dem Punkt sollte die In- und Intervention der Herren Sven Herrmann und John Mage nicht unerwähnt bleiben, die eine Reihe namhafter Wissenschaftler mobilisiert hatten.

7 Brief von Tamás Krausz und Péter Agárdi an den Präsidenten der Akademie, Eszmélet 110, 72.

8 Nicht zu verwechseln mit der ISLA: es geht um eine Stiftung der Ungarischen Sozialistischen Partei zur Förderung sozialwissenschaftlicher Forschung.

9 Lukács wohnte in einer Mietwohnung, wie man es in Budapest so ziemlich allgemein tat, diesen Mietsvertrag beerbte die UAW, die sich eine zwar nicht niedrige, aber immerhin „faire“ (also niedrigere, als etwa Privatfirmen in der Innenstadt zu zahlen haben) Miete aushandeln konnte; dazu kam noch die Miete für eine „halbe“ Wohnung eine Etage höher, die sich das Archiv in den 80ern erwarb und die anfangs als Arbeitsplatz für die Mitarbeiter diente, später nur noch als Magazin für die Sekundärliteratur; diese, auf dem Dachboden – übrigens von der Akademie – ausgebaute Abteilung des Archivs wurde im Sommer d. J. (2017) der Bezirksverwaltung zurückerstattet – d. h. das Archiv musste sich von einem Großteil seines Bücherbestands verabschieden, und das Unentbehrliche in Lukács‘ Wohnung unterbringen. (Diese Unannehmlichkeiten haben die Nachlassbibliothek von Lukács nicht betroffen.)

10 Was Prof. Agárdi nicht unkommentiert ließ, s. seine Erklärung von dem 21. April 2016, in: Eszmélet Nr. 110, S. 75. f. (Über das Gespräch selbst s. den Bericht von Péter Agárdi vom 5. 4. 2016 in: Eszmélet Nr. 110, 73. f.) Eine ähnliche Erfahrung durfte auch die Delegation der sog. II. Klasse der UAW machen, laute Akademiker, die beim Präsidenten die Annullierung der Resolution des Präsidiums der UAW erreichen wollten.

11 Offiziell existiert die Stiftung ab dem 13. März 2017.

12 Allerdings brauchte es um die zwei Monate, bis sich die Akademie entschlossen hat, dass es zu diesem Treffen kommen kann.

13 Über Motive dieser Wende kann ich nichts sagen, selbst die Tatsache, dass es zu einer Wende kam, war etwas, was man durch Zeichendeuterei (ca. im Dezember vorigen Jahres) herauszufinden glaubte – benachrichtigt wurde die ISLA oder Frau Székely im Archiv nicht.

14 Es sei bemerkt: nicht nur ist mein deutsches juristisches Vokabular ärmlich, auch – was dieses Unternehmen nicht leichter macht – dünkt mich der Juristenjargon in meiner Muttersprache leicht unverständlich zu sein; allerdings ist nicht alles, was in dem Text schon rein sprachlich bedenklich klingt, meiner Inkompetenz als Übersetzer zuzuschreiben.

15 Es geht um einen Entwurf zu einem Abkommen zwischen der Akademie, dem Philosophischen Institut und der Bibliothek der Akademie, um ein Dokument, das zu unserem Erstaunen auch wir, die ISLA, bekommen haben, wo wir doch auf eine Absichtserklärung warteten, die die Regeln der Zusammenarbeit von der ISLA und der Akademie hätte festlegen sollen. Es ging natürlich nicht um eine versehentlich falsche Adressierung des Papiers, die Zusendung dieses Dokuments wollte gerade das uns mitteilen: dass wir raus aus dem Spiel sind. Uninteressant war der Entwurf aber auch in anderen Hinsichten nicht, doch auf das Problem der digitalen Erfassung des handschriftlichen Nachlasses von Lukács, genauer auf die Undurchsichtigkeit und Widersprüchlichkeit der diesbezüglichen Vorstellungen der Bibliothek, will ich hier nicht eingehen. Allerdings schweigt sich das Papier über die Gretchenfrage dieser Angelegenheit aus, nämlich ob die Manuskripte nach dem Scannen (das von und in der Bibliothek bewerkstelligt werden soll) in das Archiv zurückkehren – oder etwa ob das Archiv einen uneingeschränkten Zugang zum digitalisierten Material haben darf, um die Forscher, die im Archiv arbeiten möchten, nicht abweisen zu müssen. Ich will nicht behaupten, dass die Akademie den handschriftlichen Nachlass von Lukács einfach wegsperren möchte, auch wenn mir dazu ungewollt einige zynische Hypothesen einfallen, wie es mit der Zugänglichkeit der Manuskripte aussehen wird, falls sie das Archiv verlassen.

16 D. h. die Leiterin der Rechtsabteilung der UAW.

17 Die allzu langen offiziellen Benennungen der Institutionen ließ ich fort.

18 Eine Geschichte für sich, die aber nicht hierher gehört. Es handelt sich allerdings, was die erste Runde in der Suche nach jungen Mitarbeitern betrifft, um eine ruhmlose Geschichte; die zweite Runde musste dann Erfolg bringen – um dieses Satzes willen.

19 Den rätselhaften Satz nämlich, „Die Bewahrung der Einheitlichkeit des Lukács-Nachlasses ist gesichert”; ob die Wortwahl (normalerweise wäre „egységesség“ in diesem Kontext einfach sinnlos) auf Ungeschicklichkeit zurückzuführen ist oder als Ansatzpunkt überraschender Deutungen angesehen werden soll, bleibe jetzt dahingestellt.

20 Etwa in einem Artikel, der nach der Generalversammlung als Kommentar zur Resolution über die Schließung des Archivs ursprünglich den Titel trug, Die Generalversammlung der Akademie feierte den 100. Jahrestag des Erscheinens von Die Theorie des Romans, dann aber unter einem bescheideneren Titel in Népszabadság erschienen ist (die originale Version in: Eszmélet Nr. 110., 82. ff.), aber auch einwandfrei höflich, wie das in der Stellungnahme des Philosophischen Ausschusses der UAW geschah (s. Eszmélet Nr. 110, 70. f.) oder in zahlreichen Gesprächen mit dem Präsidenten der Akademie (usw.).

21 „… a Filozófiai Intézet útján” – eine etwas überraschend wirkende Formulierung, da sie etwas zu unverblümt andeutet, dass von der akademischen Bürokratie selbst das Philosophische Institut nicht als Täter seiner eigenen Taten akzeptiert wird; „révén“ oder „keresztül“ (durch oder mittelst) wäre taktvoller gewesen.

22 Das mag klingen, als hätte ich meiner Neigung zu stilistischen Ausschreitungen freien Lauf gelassen, doch es ist bloß eine Paraphrase von etwas, was in einem höchst merkwürdigen Artikel des Generaldirektors der Bibliothek der UAW über das Archiv zu lesen ist, s. Monok István: Az emlékezet közgyűjteményi megőrzése. Lukács György hagyatéka kapcsán, Magyar Tudomány, 2017/8., 910. ff., (http://www.matud.iif.hu/2017/08/03.htm)

23 Kein Eingriff könnte die Bibliothek völlig unberührt lassen, da das Archiv auch rein technisch von der Bibliothek abhängig ist: Der digitale Katalog von Lukács‘ Bibliothek ist Teil des Katalogs der Zentralbibliothek; alles, was aus den Materialien des Archivs prinzipiell per Internet zu erreichen wäre, ist durch die Homepage der Bibliothek der UAW zu erreichen – nicht leicht, muss ich hinzufügen –, selbst die (für Jahre von der Bildfläche verschwundene) eigene Homepage des Archiv lässt sich nur durch die Seite der Bibliothek erreichen; auch die systematische digitale Erfassung des handschriftlichen Materials wäre etwas, über das man nachdenken könnte; es wäre eine Aufgabe, die von der Bibliothek verrichtet werden könnte oder sollte – aber nicht ohne Kontrolle, die die Interessen der Forschung zur Geltung bringen könnte, zu absolvieren wäre, usw.

24 Den Text der Erklärung hatte das Kuratorium verfasst, um auszukundschaften, ob wir (die Stiftung und die Akademie) noch überhaupt im Gespräch sind – daher wurden alle inhaltlichen Fragen weggelassen.

25 http://mta.hu/english/statement-by-the-hungarian-academy-of-sciences-regarding-the-implementation-of-gyorgy-lukacss-testament-108446

26 http://konyvtar.mta.hu/index_en.php?name=h_1_4#18_03 – Es lohnt sich, den Text zu zitieren: „Since György Lukács’s passing away in 1971, his bequest (his private collection of books, as well as his autographs and correspondence) has not been processed and catalogued according to current library standards. In order to address this long-standing deficiency, the Directorate of the Library and Information Centre of the Hungarian Academy of Sciences, in agreement with the Praesidium of the Academy, has decided to have the bequest transferred to its main building for cataloguing. From March 1, 2018, Lukács’s former apartment will function as a museum until the commencement of restoration works on it. The book collection will be made available to the public from December 31, 2018, and the autographs and correspondence from July 1, 2019. In the meantime, however, the latter can be studied in digital format upon prior request.” (23. Februar 2018) – Allerdings erhielt vor paar Tagen ein Dozent von der Sankt Petersburger Universität, der Einsicht in die Korrespondenz mit Mitgliedern des Kreises um die Zeitschrift Literturnij Kritik bekommen wollte, eine Abweisung seines „request”.

27 Ferenc Köszeg, der die hinterlassene Notizen und Handschriften seiner Frau, der Herausgeberin der frühen Lukács-Korrespondenz und Autorin einer unveröffentlichten Lukács-Biographie Éva Fekete dem Archiv übergab, widerrief seine Entscheidung – was seitens des Generaldirektors der Bibliothek mit Erleichterung zur Kenntnis genommen wurde; dass das ein Verlust ist und dass einiges aus diesem Material – nämlich die in den 1970er Jahren beim Magvető Verlag aufs Eis gelegte Biographie – eventuell doch veröffentlich werden könnte, ist etwas, was ihn als erwählten Betreuer des Lukács-Archivs kaltließ.

28 Laut einer Formulierung aus einem Brief des Generaldirektors (an jemanden, der um Erlaubnis bat, im Archiv fotografieren zu dürfen – ebenfalls eine schöne neue Maßnahme, man muss für alles erst bei der Obrigkeit um Erlaubnis bitten), ist die offizielle Benennung des Georg-Lukács-Archivs ab jetzt: Niederlassung der Bibliothek der UAW; das ist vielleicht noch nicht publik, allerdings kann man zu dem Einfall nur gratulieren: letztendlich gelang das, worum es immer ging, nämlich den Namen Lukács aus dem Inventar der Akademie zu streichen. Und dass man eine Institution, in der kein Material aus irgendeinem Nachlass zu finden ist, kaum Archiv nennen kann, scheint auf der Hand zu liegen.

29 Mitglieder, zu denen sich eventuell noch weitere gesellen werden: László Gergely Szücs, Philosoph, Mitarbeiter im Philosophischen Institut der UAW, und Zsuzsa Hermann, Mária Székely, Péter Agárdi, András Kardos, Tamás Krausz, Ferenc Tallár und der Verfasser dieses Berichts aus der „alten Garde“.